»Niemand soll sich langweilen – zeitgenössische Musik hat Unterhaltungspotenzial!«
Der in Hamburg lebende Komponist Benjamin Scheuer erhält den mit 20.000 Euro dotierten Hindemith-Preis, der im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festival herausragende zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten auszeichnet. Im Interview verrät der 37-Jährige, was ihn inspiriert, warum der Austausch mit Interpretinnen und Interpreten für ihn wichtig ist und welche außergewöhnlichen Klänge er bereits in seinen Werken genutzt hat.
Wie sind Sie zum Komponieren gekommen?
Mit Beginn der Schulzeit habe ich angefangen, Blockflöte an der Jugendmusikschule Hamburg zu lernen. Dort haben wir allerdings keine Noten bekommen, sondern sollten die Stücke, die wir gelernt haben, selbst aufschreiben. Ich hatte sofort das Bedürfnis, die Stücke weiterzuschreiben und selbst zu komponieren. Ich fand es schon immer interessanter, etwas selbstständig zu schaffen, anstatt fleißig Etüden zu üben.
Wie würden Sie Ihren Kompositionsstil beschreiben?
An der Oberfläche: spielerisch-humorvoll mit einer breiten Palette an Klängen. Hier arbeite ich sowohl mit dem traditionellen Klangrepertoire von Instrumenten als auch mit recht abgefahrenen, absurden Geräuschen. Auf einer zweiten Ebene möchte ich Geschichten erzählen und versuche, wie in der Sprache, Sätze zu bilden. Dabei ist die Form sehr präzise, ähnlich wie bei einem Stand-Up Comedian, bei dem es auch auf das richtige Timing ankommt. Es genügt nicht nur, Witze zu erzählen; entscheidend ist auch, wie und wann man sie anbringt.
Was inspiriert Sie?
Die Begegnung mit anderen Menschen, das kann ein bestimmter Ausdruck sein, eine Art, wie ein Mensch spricht, oder ein Lachen. Aber auch Klangobjekte jeder Art inspirieren mich. Ich habe eine riesige Sammlung von Vogelstimmen bis Perkussionsinstrumenten zuhause.
In ihren Kompositionen nutzen Sie mit Vorliebe ungewöhnliche Klänge. Was waren bislang die skurrilsten Klangfundstücke, die Sie für Ihre Kompositionen genutzt haben?
Vor langer Zeit habe ich im Internet die allererste Aufnahme einer Papst-Rede gefunden. Die Aufnahme rauschte und die Stimme klang wie ein Singsang. Das fand ich total spannend und wollte damit unbedingt arbeiten. Ein anderes Beispiel: Meine Eltern hatten früher einen Graupapagei, der alles aus meiner Kindheit mitbekommen hat – wie ich Geige übte, wie mein Bruder Trompete spielte, all unsere Unterhaltungen. Der Papagei war wie der Rekorder meiner Kindheit und Jugend und sang bestimmte Melodien, die ich dann irgendwann aufgenommen und später in einem Stück verwendet habe.
Welche Rolle spielt das Feedback von Interpretinnen und Interpreten in Ihrem kreativen Prozess?
Ich versuche, die Musikerinnen und Musiker schon während der Entstehung eines Stücks einzubinden und lade sie ein zu kreativen Improvisationssessions. Dafür entwickle ich eine erste Idee für ein Stück und stelle den Musikern verschiedene Aufgaben. Zum Beispiel bitte ich sie, eine einfache Zeichnung zu spielen oder ich bringe Aufnahmen mit, die sie auf ihrem jeweiligen Instrument nachahmen sollen. All das nehme ich auf und höre es mir ganz detailliert an. Aus diesen Soundschnipseln entsteht dann das eigentliche Stück.
Ein zeitintensiver Prozess – warum ist Ihnen dieser Austausch so wichtig?
Für mich geht es nicht nur um das Instrument, sondern um den Menschen, der es spielt. Um seine Persönlichkeit, die Bühnenpräsenz, bestimmte Fähigkeiten. Im Dialog mit dem Musiker oder der Musikerin können ungewöhnliche Spieltechniken und Ausdrucksweisen entstehen. Und es ist unglaublich fruchtbar, wenn ich ihnen schwere oder merkwürdige Aufgaben stelle und sie dann zu einer unkonventionellen Lösung kommen, die wir jeweils einzeln nicht gefunden hätten.
Was möchten Sie beim Publikum bewirken?
Ich bin vorsichtig, genau zu bestimmen, was meine Musik bewirkt. Das überlasse ich lieber anderen. Meine Musik soll unterschiedliche Anknüpfungspunkte bieten, so mag eine Person ein Stück als lustig empfinden und eine andere Person als deprimierend. Ich möchte aber niemandem vorschreiben, was die »richtige« Interpretation ist. Mir ist wichtig, dass sich niemand langweilt, egal ob Schulklassen oder Fachpublikum. Zeitgenössische Musik hat Unterhaltungspotenzial.
Sie sind Hindemith-Preisträger des SHMF 2025. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Es war eine große Überraschung für mich, den Hindemith-Preis zu erhalten. Mir bedeutet der Preis viel, besonders weil er aus Norddeutschland kommt – ich bin in Schleswig-Holstein geboren und in Hamburg aufgewachsen.